Weit, weit weg

Wir schreiben das Jahr 4089 n.Ch. Die Erde ist absolut heruntergewirtschaftet. Die Menschen müssen die Erde verlassen. Sie finden neue Lebensräume auf anderen Planeten. Dort jedoch leben bereits Wesen, wie im Mittelalter. Verschreckt von der Ankunft der Menschen mit ihren gigantischen Maschinen ziehen sie sich in die dichten Urwälder zurück. Erst nach und nach erfahren einzelne Expeditionen der Menschen, dass sie von Fremden mit ähnlichen Maschinen aus ihrer Welt vertrieben wurden und dass sie sich jetzt zum Kampf rüsten. Dies sollte allerdings verhindert werden.

Während des Fluges hatte Mandy sich in eine Ecke zurückgezogen, geschützt vor den Blicken, und hatte die Arme um ihre angezogenen Beine geschlungen. Ihr Vater dagegen sprach über den Planeten, den sie bald bewohnen würden, und schwärmte von den exotischen Wäldern.
Als die 'Rakete' endlich landete, ging Mandy als Letzte heraus und sah sich neugierig um. Es war schon alles vorbereitet und eine kleine Siedlung wuchs aus einem großen Platz. Um die Häuser und die kleinen Geschäfte lag ein freundlicher und bunter Wald. Das Mädchen staunte wegen der Farbenvielfalt und den vielen fremdartigen Blumen. Vielleicht könnte es mir doch hier gefallen.

Ayani beobachtete die Ankunft von einem Baum aus. "Noch mehr Jäger." murmelte sie. Ihre Ohren zuckten nervös, genau wie ihr buschiger Schweif. Sie hatte Angst. Angst vor denen, die mit großen Maschinen kamen. Sie war so ängstlich wie die anderen auch. Ayani drehte sich langsam um, sprang vom Baum und verschwand in den undurchdringlichen Wäldern, um die Ankunft zu berichten.

Mandy ging zögerlich auf einen Busch zu, streckte die 'natürliche' Hand nach einer blauen Handteller großen Blüte aus. Neugier war schon immer ihre größte Schwäche. Doch sie wurde von einer Hand auf ihrer Schulter aufgehalten. "Was machst du da, Mandy?" Aufgeschreckt drehte sie ihren Kopf zu dem Jungen, der sie angesprochen hatte.
"Erschreck mich nicht so..", seufzte sie erleichtert. Es war bloß Simon, ein Kindergartenfreund. "Ich würde die Blume nicht anfassen.", sagte er ohne zu grüßen. "Du weißt nicht ob sie giftig ist." "Alle giftigen Pflanzen wurden von der Siedlung entfernt.", konterte sie und nahm die Blüte sanft in die Hand. Die Schönheit dieser wilden Blume erfüllte Mandy mit Frieden und sie vergaß die Skepsis, die sie noch zuvor hatte.

Ayani schüttelte sich. Eine Nuan, eine dreischwänzige Katze, sprang ihr aus dem Weg. Die Jäger würden bald in den Wald eindringen... sie waren schon weiter vorgerückt... bald würden sie die Reste ihrer alten Siedlung finden.

Mandy merkte nicht, wie Simon sich von ihr entfernte und sich einer Gruppe von reichen Jugendlichen anschloss. Mandy gehörte auch zu den Wohlhabenden, aber mied den Kontakt zu den meisten aus der Gruppe, da sie sich gegenüber anderen arrogant verhielten. Irgendetwas trieb sie dazu ihre Schritte in den Wald zu leiten.

"Es sind mehr gekommen!" rief Ayani außer Atem, als sie in der Siedlung ankam. Ein Fremder würde kaum erkennen, dass hier Nekos lebten. Die Wohnstätten waren gut verborgen. Jedoch kurz nachdem Ayani das letzte Wort gesagt hatte, war der kleine Platz, um den sie lebten, gefüllt von anderen. "Wir müssen einen Spion dorthin senden." sagte einer der ältesten. Ayani nickte. "Ja... wenn es so weiter geht, werden sie uns finden."

Die Farben verschluckten sie und verborgen sie von den Blicken der anderen Menschen. Obwohl sie ahnte, dass es ihren Vater nicht im Geringsten gefallen würde, lief Mandy weiter. Sie lenkte ihre Schritte gezielt, wusste aber nicht wohin sie ging.

"Ayani, du bist am meisten in unseren Wäldern unterwegs. Du bist die erste, die in den Farben dieses Waldes geboren wurde... und nicht mehr in denen unserer alten Umgebung. Du wirst dich am besten hier anpassen können. Achte auf dich, bitte." Eine ältere Frau küsste dem Mädchen auf die Stirn. "Ich möchte dich nicht verlieren, meine Tochter." Ayani nickte. Sie wusste, was diese Worte hießen, auch wenn es eigentlich nicht ausgesprochen wurde. Sie sollte der Spion sein. Und sie würde die Aufgabe erfüllen. "Auf wiedersehen." sagte sie leise.

Man konnte es vergleichen mit einem Magneten. Mandy wurde zu dem Magneten hin gezogen, konnte zwar etwas dagegen tun, wollte es aber nicht.
Die Zweige der Bäume peitschten ihr ins Gesicht, als würden die Riesen Mandy aufhalten wollen. Die Dornen der Büsche rissen ihre Strumpfhose auf und hinterließen dünne Schnitte in ihrer Haut. Doch Mandy lief weiter voran.

Ayani lief zuerst zu ihrer alten Siedlung. Dort versteckte sie sich in einer Hütte. In der Hütte der Schamanin, die hoch oben in den Bäumen hing, wie ein großes Eichhörnchennest. Sie wollte warten, ob jemand dieses Dorf entdecken würde. Zumindest zwei Tage. Ansonsten würde sie sich wohl in die Siedlung der Jäger schleichen müssen. Auch wenn sie in Gefahr lief, entdeckt zu werden.

Sie kämpfte sich durch das Dickicht und bedauerte es, kein Taschenmesser mitgenommen zu haben. Doch irgendwann, nur nach wenigen Minuten, griff sie einen dicken Ast mit handtellergroßen Blättern und schob ihn beiseite. Dahinter erstreckte sich eine Lichtung. Unschwer zu erkennen war dort einmal ein Dorf oder ähnliches gewissen. Vor Erstaunen blieb Mandy starr stehen und sah sich fasziniert um.

Ein Mädchen kam auf die Lichtung. Sie hatte nur einen heilen Arm. "Wie traurig..." flüsterte Ayani leise. Dann verstummte sie. Wie dumm von ihr. Sie konnte sie gehört haben. Schnell zog sie den Kopf zurück und hielt die Luft an, um kein Geräusch von sich geben zu können. Sie durfte auf keinen Fall entdeckt werden!

Die Schatten schienen in den Farben des Regenbogens zu schimmern, weswegen Mandy gar nicht mehr aus dem Staunen herauskam. So schön. Überall diese Farben, diese Blumen. Ich habe schon seit Jahren keine größere Farbenpracht gesehen und auch keinen Ort der vor lauter Schönheit zu singen scheint. Genau genommen hatte Mandy noch nie einen natürlichen Wald gesehen, so wie die meisten der Jugendlichen. Auch Farben, die aus der Natur kamen, waren ihr fremd. Es war also kein Wunder, dass sie so verzaubert von der Lichtung war.

Ayani lehnte sich wieder ein bisschen aus dem Fenster heraus. Ihre orangenen Haare schimmerten leicht im Licht, sodass sich ein Regenbogenreflex auf ihnen bildete. Die Sonne war herausgekommen. Ayani genoss es. Sie merkte nicht, wie das Haus unter ihr nachgab und so stürzte sie ab. Zwar konnte sie sich bald wieder halten, doch das Mädchen hatte sie ohne Zweifel bemerkt.

Das Krachen und Bersten schreckte Mandy auf und ihr entkam ein erschrockener Aufschrei. Sie drehte sich zu dem Objekt der Geräusche um und staunte nicht schlecht, als sie das, jetzt kaputte, Haus sah und ein Mädchen mittendrin.

Das betreffende Mädchen zitterte am ganzen Körper. Die, wenngleich noch junge, Jägerin würde sie jetzt töten. Sie arbeitete sich geschickt aus den Trümmern heraus und sprang Mandy vor die Füße. Wenigstens wollte sie nicht kampflos aufgeben.

Vor Schreck sprang Mandy tollpatschig zurück. Ihr Sprung wurde mit einem panischen 'Whaa' begleitet. Dieses Mädchen kam nicht von der Erde, das stand fest und falls sie ihr feindlich gesinnt war, anders konnte man es ja nicht erklären, dass sie Mandy ohne Grund 'angriff', hätte das Menschenmädchen keine Chance.

Ayani zögerte kurz erstaunt. Dann brach sie in helles Gelächter aus. So tollpatschig wie dieses Mädchen waren noch nicht mal die jüngsten bei ihnen. Ihre Ohren zuckten aufmerksam in die Richtung des fremden Mädchens. Sie schien ohne Waffen zu sein.

Mandy schluckte verstört und wich weitere Schritt zurück. Wie konnte dieses 'Etwas' jetzt lachen? Wenn dieses Mädchen noch mal so nah kam, nahm sich Mandy vor, würde sie ihr eins mit ihrem Metallarm überbraten.

Ayani sah das Mädchen fest an. Ihre gelben Katzenaugen blitzten immer noch belustigt. Aber jetzt sah sie die Gefahr deutlicher. Auch wenn die Fremde tollpatschig war, so war sie dennoch eine Gefahr. Sie konnte sie verraten. "Warum seid ihr hierher gekommen?" fragte Ayani leise.

Mandy war einem Kreischanfall nahe. "Wir.. ähh..", stotterte sie und ihre Stimme überschlug sich.

Ayanis Ohren zuckten beunruhigt. Sie witterte die Gefahr förmlich. "Mandy?" hörte sie eine Stimme rufen. Ayani sah panisch über die Schulter, dann verschwand sie im dichten Gebüsch.

Das schnelle Verschwinden des Mädchens beruhigte Mandy nicht im Geringsten. Erst als sie die großen Hände ihres Vaters auf den Schultern spürte, konnte sie wieder klar denken. "Ich.. bin hier.", sagte sie dann leise.

Sie war ja so dumm. Warum hatte sie dieses unbeholfen wirkende Mädchen nicht gleich getötet? Es wäre so viel einfacher gewesen. Aber auch noch viel dümmer. Es wäre aufgeflogen. Und sie... sie hätte zu einer schnelleren Entdeckung und Ausrottung ihrer Leute beigetragen. Nein. Es war gut so. Ayani lächelte.